Die Heringsche Regel

Die Heringsche Regel - das allgemeine Gesetz des Heilungsverlaufs einer Erkrankung

Constantin Hering


Formuliert von Dr. med. Constantin Hering (1800-1880), direkter Schüler Samuel Hahnemanns sowie homöopathischer Arzt und Professor für Arzneimittellehre des von ihm mitbegründeten Hahnemann-Medical-College in Philadelphia, USA. Hering führte unter anderem Lachesis in die homöopathische Arzneimittellehre ein.



(Auszug aus dem Buch ”Sanfte Medizin -Die Heilkunst des Wassermannzeitalters” von Dr. Joachim-F. Grätz)

Das Phänomen der Rückspulung

 

Während einer chronisch homöopathischen Behandlung warten alle Homöopathen ”sehnsüchtig” auf Ausscheidungskrisen beim Patienten und freuen sich, wenn sich diese einstellen, denn sie sind ein gutes Zeichen der Heilung und weisen darauf hin, daß wieder dauerhafte Gesundheit erreicht werden kann.

Die Heilung erfolgt nämlich unter bestimmten Naturgesetzmäßigkeiten, welche Constantin Hering (1800-1880), großer deutscher Homöopath, der Hahnemann noch persönlich kannte und in jungen Jahren nach Amerika auswanderte, um dort die Homöopathie zu verbreiten, in der sogenannten Heringschen Regel zusammengefaßt hat. Mit dieser Regel kann die ”Richtung”, die die Symptome im Verlaufe einer Kur nehmen, beurteilt werden. Grundsätzlich gesehen darf nichts auftreten, was vorher nicht schon einmal da war, es sei denn, es ist ein Hautausschlag (im homöopathischen Sinne Ausleitung über die Haut), oder wir können es anderweitig einordnen (beispielsweise es gehört zum Arzneimittelbild des laufenden Mittels im Sinne eines Prüfungssymptoms). Die Heringsche Regel beschreibt die zentrale Richtung des Heilungsverlaufes und gilt besonders für die Behandlung chronischer Erkrankungen. Sie lautet:

Der Patient ist auf dem Wege der Heilung, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

  • Die Symptome verschwinden von innen nach außen   und/oder
  • von oben nach unten   und/oder
  • in der umgekehrten Reihenfolge ihres früheren Auftretens.

Der Organismus, ja sogar die kleinste Lebenseinheit, die Zelle, arbeitet von innen nach außen. Aus diesem Grunde sind Hautausschläge vergleichsweise harmlose ”Krankheiten”, selbst wenn sie große Beschwerden bereiten, denn der Organismus versucht schädliche Toxine über die Haut auszuleiten. Hautausschläge müssen demnach unangetastet bleiben und dürfen nicht lokal behandelt werden! Sie verschwinden von alleine, wenn das Zentrum gereinigt ist. Das heißt, unter einer homöopathischen Behandlung kann zunächst die Haut ”belastet” werden, wohingegen zentralere innere Organe entlastet werden oder sich Gemütssymptome deutlich aufhellen. Wenn dann das ”Ventil Haut” zur Ausscheidung nicht mehr gebraucht wird, lösen sich die Ausschläge von selbst wieder auf, ohne eine gezielte lokale Behandlung. Verläuft die Symptomenveränderung allerdings in umgekehrter Reihenfolge, das heißt, verbessern sich periphere Erscheinungen wie die Haut unter Verschlechterung zentralerer Regionen (z. B. Lunge, Herz), so wird es kaum echte Heilung geben, eher eine Verschlimmerung im Ganzen. Andere nennenswerte Toxinausleitungen bestehen in vermehrten Schweißen, Durchfällen, Eruptionen von Warzen oder akuten Erkrankungen, um nur einige zu nennen, welche selbstverständlich nicht lokal und unterdrückend behandelt werden dürfen.

Ähnlich verhält es sich bei ”von oben nach unten”. Eine Neurodermitis beispielsweise wird im Sinne dieser Naturgesetzmäßigkeiten gut abheilen, wenn sie sich schrittweise von oben nach unten verbessert. Das gilt auch dann, wenn vorübergehend Hautausschläge an den Beinen oder anderen unteren Körperregionen auftreten, die zuvor dort noch nie zu beobachten waren, wobei jedoch meinetwegen das Gesicht schon völlig frei geworden ist. Werden dagegen untere Körperregionen auf Kosten oberer immer besser, so läuft etwas schief und entfernt sich von echter Heilung.

Die ”umgekehrte Reihenfolge ihres Auftretens” beschreibt einen Rückspulungsprozeß, der bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen immer wieder festzustellen ist. Mit der Homöopathie wird ein retrograder* Prozeß angestoßen, der dem Patienten häufig noch einmal alle alten – noch nicht vollständig ausgeheilten – Krankheitserscheinungen und -stadien für kurze Zeit reaktiviert, um diese nun zu durchleben und endgültig echt ausheilen zu können. Dies ist immer als positives Zeichen des Heilungsverlaufes zu werten. Waren die einzelnen Lebensabschnitte des Patienten in der Vergangenheit in gesundheitlicher Hinsicht mit viel Dramatik behaftet, so wird dieser den Rückspulungsprozeß in der Regel als recht anstrengend empfinden, weil ”immer etwas passiert”. Je mehr akute oder entzündliche Prozesse im Leben eines Menschen vorgekommen sind, desto deutlicher wird dieser den Rückspulungsprozeß ”seiner” früheren, bislang nicht wirklich ausgeheilten Beschwerden erleben. Da mit zunehmender Behandlungsdauer die Miasmen – und damit die alten Krankheitserscheinungen – immer weiter abgetragen werden, sind auch die entsprechenden Reaktionen auf das homöopathische Arzneimittel schrittweise weniger deutlich wahrzunehmen (d. h. ohne große Dramatik), da man mit der Zeit automatisch ”in ruhigeres Fahrwasser kommt”. – Bei früheren, wenig auffälligen Beschwerden kann diese Aufarbeitung alter Krankheitszustände völlig latent bzw. fast unbemerkt verlaufen. – Häufig kommen auch wieder Symptome zum Vorschein, welche der Patient schon längst vergessen hatte und deshalb in der Anamnese nicht zur Sprache gebracht hat, aber an welche er sich bei der Rückspulung sofort wieder erinnert. Deshalb ist der Therapeut angehalten, bei Auftreten von ”neuen” Symptomen während einer chronischen Kur immer wieder zu eruieren, ob dem Patienten diese Phänomene von früher her bekannt sind. Ist dies der Fall, so kann man davon ausgehen, daß das zur Zeit ”laufende” Mittel noch wirkt und weiterhin nicht gewechselt zu werden braucht.



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*  retrograd: rückläufig, zeitlich oder örtlich zurückliegend.
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